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Datum: Kategorie(n): Gesundheit · Sie fragen – wir antworten · Leistungen UKH · Versicherungsschutz · Drucken

Einklang von Beruf und Pflege als Herausforderung für Führungskräfte

Mehr als 4,7 Millionen Menschen sind in Deutschland für rund 2,6 Millionen Personen als pflegende Angehörige tätig. Sechs Prozent aller Personen im erwerbsfähigen Alter pflegen eine*n Angehörige*n; bei den über 45-Jährigen sind es schon zehn Prozent, die neben ihrem eigentlichen Beruf im Einsatz sind. Somit wird das Thema für die Politik sowie für Unternehmen und ihre Führungskräfte zunehmend wichtig. Am Beispiel der Unfallkasse Hessen zeigen wir mögliche Situationen und Lösungsansätze auf.

Die inform Redaktion führte zu diesem Thema ein Interview mit dem Leiter des UKH Aufsichtsdienstes, Oliver Heise.

inform: Herr Heise, sie sind als Leiter des Aufsichtsdienstes der Prävention für über 50 Beschäftigte zuständig. Welche Berührungspunkte haben Sie als Führungskraft und als Aufsichtsperson mit dem Thema „häusliche Pflege“?

Oliver Heise: Bei uns Aufsichtspersonen taucht das Thema häufig in unseren Seminaren auf, wenn wir über die Aufgaben und Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sprechen. Die häusliche Pflege ist über die kommunalen Unfallversicherungsträger versichert, und deren Trägerin ist in Hessen die UKH.

Zum 1.1.2017 haben sich mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz1 die Voraussetzungen zum Versicherungsschutz der häuslichen Pflegepersonen geändert. Darüber informieren wir auch unsere Seminarteilnehmer, da wir diese auch als Multiplikatoren in unseren Mitgliedsbetrieben sehen.

Als Führungskraft erlebe ich aber auch, dass sich Beschäftigte aus unserer Abteilung bei mir melden, um die Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz zu beantragen. Dabei geht es im Schwerpunkt um die Pflege der Eltern.

Wenn man sich dann die Statistiken anschaut und sieht, dass in den nächsten Jahren mit einem ständigen Anwachsen des Anteils der über 80-Jährigen in der Bevölkerung zu rechnen ist und gleichzeitig die Pflegewahrscheinlichkeit bei dieser Gruppe bei 38,5 % liegt, kann man absehen, dass uns dieses Thema in Zukunft noch stärker beschäftigen wird. Zurzeit betrifft es die Eltern der sogenannten Babyboomer, zu denen auch ich gehöre.

Und auch bei mir ist es so, dass meine Mutter pflegebedürftig ist und mein Vater sich fast in Vollzeit um sie kümmert. Aus dem Kreis der Beschäftigten allein in unserer Abteilung weiß ich von drei Kolleginnen bzw. Kollegen, die sich mit unterschiedlicher Intensität um die Eltern kümmern.

inform: Wo sehen Sie in solchen Fällen die Herausforderung für die Führungskräfte?

Eine Herausforderung ist es schon, überhaupt davon zu erfahren, dass Beschäftigte zu pflegenden Angehörigen werden. Wenn Beschäftigte Eltern werden, wird man als Führungskraft in der Regel frühzeitig darüber informiert. So ein freudiges Ereignis wird gerne geteilt. Man kann sich daher als Arbeitgeber gut auf die anstehende Elternzeit vorbereiten und entsprechende Regelungen bei Projekten und Zuständigkeiten vereinbaren.

Bei einem Pflegebedarf in der Familie wird man häufig erst informiert, wenn ein akuter Bedarf besteht, da die Pflegebedürftigkeit natürlich nicht planbar ist, sondern oft durch kurzfristige Erkrankungen auftritt.

Aber auch wenn sich, wie bei meiner Mutter, durch eine Demenzerkrankung erst eine allmähliche und langsame Verschlechterung der Selbstständigkeit und damit ein wachsender Pflegebedarf ergibt, ist dies kein Thema, welches ohne Weiteres offen im Gespräch zwischen Mitarbeiter*in und Führungskraft behandelt wird.

Viele Beschäftigte verstehen die Pflege ausschließlich als Privatangelegenheit und scheuen sich, Kolleg*innen und Vorgesetzte anzusprechen. So erhält man als Führungskraft diese Information leider erst spät, wenn es nämlich einen akuten Handlungsbedarf gibt. Und dann muss schnell für die Umverteilung von Aufgaben und Verantwortungen gesorgt werden, ohne große Vorbereitung. Dabei ist Pflege aus meiner Sicht schon längst ein öffentliches und natürlich auch ein betriebliches Thema.

Nur bei einem mitarbeiterorientierten, offenen und auf Vertrauen beruhendem Führungsstil hat man die Chance, schon frühzeitig von einem anstehenden Bedarf an Unterstützung zu erfahren und erforderliche Maßnahmen einzuleiten, um sowohl den Beschäftigten zu helfen als auch Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Ich habe als Führungskraft bei der UKH natürlich den Vorteil, dass meine Arbeitgeberin besonders familienfreundlich und sozial orientiert ist und ich so immer Rückendeckung durch das Unternehmen selbst erhalte. Allerdings steht das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ auch bei uns noch nicht gleichermaßen im Fokus wie zum Beispiel die Kindererziehungs- und Elternzeiten.

Weitere betriebliche und menschliche Herausforderungen können sich durch die hohe emotionale Belastung der Betroffenen ergeben. Gefühle und Befinden sind von außen nicht ohne Weiteres gut einzuschätzen. Nur im persönlichen Gespräch kann ein möglicher Unterstützungsbedarf festgestellt werden.

Auch hier liegt ein großer Unterschied zu Beschäftigten in der Elternzeit. Als Führungskraft kann man in der Regel abschätzen, welchen Betreuungsbedarf Kinder je nach Altersstufe benötigen und wie groß die physischen und psychischen Herausforderungen an die Eltern sind. Selbst die Intensität des Betreuungsbedarfs folgt einem Muster durch Kindergarten und Schule. Diese Merkmale gibt es bei der Pflege nicht.

inform: Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, Betroffenen durch Ihre Führung, aber auch durch das Unternehmen zu helfen?

Die Unternehmen müssen sich angesichts der absehbaren Entwicklung auf eine stärkere Nachfrage nach Unterstützung vorbereiten. Diese ist beispielsweise durch die grundsätzliche Schaffung von Möglichkeiten zu Teilzeitarbeit sowie mobilem Arbeiten möglich. Gerade das mobile Arbeiten hat sich in der Coronazeit als schneller umsetzbar gezeigt, als es viele vermutet hätten. Mobiles Arbeiten ermöglicht auch Beschäftigten, die nicht selbst in die Pflege eingebunden sind, bei denen aber dennoch Familienbesuche bei oft entfernt lebenden Angehörigen notwendig sind, diese Besuche ohne das Aufbrauchen des Erholungsurlaubs zu bewerkstelligen.

Auch pflegenden Angehörigen, die nur Teile der Pflegeleistungen selbst übernehmen, kann mobiles Arbeiten diese ohne finanzielle Einbußen ermöglichen.

Durch flexible Teilzeitregelungen ist es den Beschäftigten möglich, sich in die Pflege einzubringen, ohne den Kontakt zum Unternehmen zu verlieren. Vielen Angehörigen ist es wichtig, auch in den Pflegezeiten weiter berufstätig zu sein. Häufig ist die Berufstätigkeit sogar ein verlässlicher Anker in der Zeit der hohen privaten Zusatzbelastungen.

Da oft zu Beginn der Pflege der höchste Informationsbedarf besteht, ist es sinnvoll, Kontaktdaten zu Beratungsstellen bereitzustellen (beispielsweise im Intranet) oder auch – insbesondere in größeren Unternehmen – selbst Pflegeberatungen anzubieten.

Als Führungskraft muss man sich offen für das Thema zeigen und sicher auch über die eigene Betroffenheit reden. So erhält man die Chance, dass sich auch die Beschäftigten öffnen und über ihre Probleme berichten. Damit hat man die Möglichkeit, auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen.

Die Schaffung von zeitlichen Freiräumen und das Möglichmachen von Flexibilisierung der Arbeit liegen oft in der Hand der direkten Führungskraft. Manchmal reicht schon das klare Signal, dass man Verständnis für die Situation hat und auch kurzfristige Abwesenheiten ermöglichen wird. Auch eine Umorganisation der Arbeit kann Entlastung bringen, zum Beispiel, indem man Reisetätigkeiten oder Teilnahmen an Veranstaltungen weit weg vom Wohnort reduziert. Auch hierbei hat die derzeitige Krise gezeigt, dass dieses Verfahren durchaus möglich ist – etwa durch die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen und digitale Schulungen.

In Hinsicht auf die emotionale Belastung kann es natürlich nur eine am individuellen Bedarf orientierte Unterstützung geben. Ein Gesprächsangebot kann helfen, es kann aber auch erforderlich sein, auf professionelle Unterstützung zu verweisen.

Wenn Beschäftigte die Berufstätigkeit zeitweilig vollständig aufgeben müssen, sollte man klären, ob ein regelmäßiger Kontakt gewünscht wird, um „auf dem Laufenden“ zu bleiben. Und natürlich sollte nach einer Rückkehr in die Berufstätigkeit sensibel mit der Situation umgegangen und ausreichend Zeit eingeräumt werden, um zurück in die Tätigkeit zu finden.

nform Ausgabe 4/2020

Pflegezeit

Die Freistellungen nach dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz, die kurzzeitige Arbeitsverhinderung und das Pflegeunterstützungsgeld ermöglichen es Beschäftigten, den Beruf und die Pflege von Angehörigen zu vereinbaren.

Anspruch auf Pflegezeit wird Beschäftigten gewährt, die eine nahe Angehörige oder einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Ein Anspruch auf Freistellung besteht für die häusliche oder auch außerhäusliche Betreuung von minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen und für die Begleitung von nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase. Der Anspruch gilt für alle Pflegegrade. Es handelt sich um eine sozialversicherte, vom Arbeitgeber nicht bezahlte vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung für die Dauer von bis zu sechs Monaten.

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium).

Führungskräfte sollten möglichst Verständnis für die Situation der Beschäftigten aufbringen und z. B. kurzfristige Abwesenheiten für Pflegetätigkeiten ermöglichen. Bild: ©Adobe Stock, pikselstock

Private Zusatzbelastungen von Beschäftigten sind immer auch ein Thema für Führungskräfte. Bild: ©Adobe Stock, pikselstock

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Autor/Interviewer: Oliver Heise und Redaktion inform, E-Mail: o.heise@ukh.de